Filmkritik zu:
Der Affront
von Reinhard
Über den Film:
Da gibt es den Vorarbeiter und den Bewohner des Hauses. Auslöser ist ein Rohr, mit dem das Abwasser des Balkons einfach auf die Straße geführt wird. Eindeutig nicht erlaubt. Aber der Bewohner ist nicht einsichtig. Schlägt die Tür wieder zu. Also macht der Bauarbeiter seinen Job von außen. Kurzerhand kommt das Rohr ab, eine Verlängerung zum Regenabfluss gelegt. Innerhalb kürzester Zeit ist das erledigt, sauber gemacht.
Nur der Bewohner ist nicht zufrieden, er wurde ja nicht gefragt. Quittiert das Eindringen in seine Privatsphäre mit der Zerstörung des frisch gelegten Rohres. Der Vorarbeiter, Yasser Salameh gespielt von Kamel el Basha, ist zuerst sprachlos. Und schickt dann ein Schimpfwort hinterher. Der Hausbewohner, Toni Hanna gespielt von Adel Karam, ist erbost darüber.
Und der kann und will es nicht darauf beruhen lassen. Dass ein Palästinenser, noch dazu ein Christ, ihn beleidigt. In seinem Land. Denn wir reden vom Libanon, von Beirut. Dabei wird das chaotische Beirut gezeigt. In schönen Luftaufnahmen, bei denen man jeder Satellitenschüssel einzeln sieht, jede der Häuserfluchten, und jedes Dach erkennt.
Überhaupt ist die Kamera beeindruckend gut. In Großaufnahmen werden die intensiven, ausdrucksstarken Gesichter gezeigt. Und diese Gesichter erzählen Geschichten, obwohl oft keine Regung zu erkennen ist. Jedenfalls bei Yasser weniger, er hat gelernt, nichts zu sagen. Anders als der aufbrausende Toni. Der sagt eher mal was zu viel.
So auch in der Situation, als Yasser sich durchgerungen hat um sich zu Einschuldigen. Doch sowenig wie der eine sich entschuldigen will, so wenig will der andere eine Entschuldigung hören. So lässt Toni erst mal ein paar Beleidigungen los. Und Yasser rastet aus, schlägt den Mechaniker, zwei gebrochene Rippen.
Und damit beginnt der Hauptteil des Films, der sich als Gerichtsfilm entpuppt. Wenigstens die Hälfte der Szenen, zumindest ab hier, spielen vor Gericht. Und Toni Hanna verliert. Nicht zuletzt wegen seines großen Mundwerks. Dabei ist für ihn und seine Freunde klar, der Richter wurde gekauft.
Bei der Berufung hat sich dann Toni einen Verteidiger besorgt. Aber auch Yasser hat eine Verteidigerin. Und die beiden kennen sich, haben noch ein Hühnchen miteinander zu rupfen. Wie sich etwas später im Film herausstellt.
Überhaupt wird allmählich die Öffentlichkeit auf das Verfahren aufmerksam. Bei Toni gab es, nennen wir es Spätfolgen aufgrund der gebrochenen Rippen. Bonuspunkte vor Gericht, wie sein Verteidiger sagt. Dabei will er kein Mitleid, wie er betont, er will einfach Gerechtigkeit.
Denn allmählich wendet sich der Blick, weg vom Bauarbeiter, hin zum Mechaniker. Und wenn bislang die Lebensumstände von Yasser durchleuchtet wurden, der in einem Flüchtlingslager lebt. Dann schwenkt die Aufmerksamkeit zum Libanesen, dessen Frau gerade hoch schwanger ist. Später im Prozess werden auch noch mehr Details aus deren Leben offenbart. Die wenigsten sind angenehm.
Aber im Grunde geht es schon lange nicht mehr um einen einfachen Streit. Es hat politische Dimensionen angenommen. Es wird zu einer Generalabrechnung zwischen den, zumeist christlichen, Palästinensern, geflohen aus dem eigenen Land, aufgenommen im Libanon. Aber immer noch, auch nach Jahrzehnten, in Lagern lebend. Und den Libanesen, die Angst haben ihr Land an die Fremden zu verlieren. Mehrere Hunderttausend Menschen, die von den gerade mal sechs Millionen Libanesen aufgenommen wurden. Ein Vielfaches, prozentual gesehen, dessen was Deutschland gemacht hat und macht.
Und entsprechend groß sind die Probleme, mit Nationalität und so. Und das wird im Film gezeigt. Aber nicht als Lehrstück. Sondern als Lehre über das Leben. Mit den beiden Protagonisten als Spiegel ihrer Gesellschaft. Und den beiden Anwälten, um zusätzlich Pfeffer in die Geschichte zu bekommen. Unterstrichen mit, vermutlich, Originalaufnahmen. Die die aktuelle Situation zu bebildern.
Denn dieses Stück bewegt Bilder, das 2018 in der Kategorie „bester fremdsprachiger Film“ beim Oscar nominiert war, ist absolut sehenswert. Nicht nur als ein Stück Geschichtsbewältigung, das könnte uns in Deutschland ja egal sein, sondern einfach weil er gut und überzeugend ist. Und wenn die Hintergründe nicht egal sind, umso besser.
Ohne Frage bekommt er von mir sechs von sechs Hüten.
Technisches:
Originaltiel: L’insulte
Regie: Ziad Doueiri Andere Filme: The Attack (2012), Lila dit ça (2004), Die Kinder von Beirut (1998)
Buch:
- Ziad Doueiri Andere Filme: The Attack (2012), Lila dit ça (2004), Die Kinder von Beirut (1998)
- Joelle Touma Andere Filme: Just Like a Woman (2012), The Attack (2012), Lila dit ça (2004)
Schauspieler:
- Adel Karam (als Tony Hanna) Andere Filme: One Day I’ll Leave (2015), Rue Huvelin (2011), Wer weiß, wohin? (2011)
- Kamel El Basha (als Yasser Abdallah Salameh) Andere Filme: The Reports on Sarah and Saleem (2018), Solomon’s Stone (2015), Al-hob wa al-sariqa wa mashakel ukhra (2015)
- Rita Hayek (als Shirine Hanna) Andere Filme: Kafa: Enough (2014), Oul Inshallah (2008), Helm Athar (2006)
Kamera: Tommaso Fiorilli Andere Filme: Go Home (2015), New Territories (2014), The Attack (2012)
Musik: Éric Neveux Andere Filme: Meine Zeit mit Cézanne (2016), Mein ziemlich kleiner Freund (2016), Nur eine Stunde Ruhe (2014)
Verleih: Alpenrepublik Filmverleih
FSK: 12
Laufzeit: 112 Minuten
Genre: Drama
Start: 25. Oktober 2018
Homepage: Homepage
IMDB: imdb
Wikipedia: wiki
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